Osteopathie und Feldenkrais bei Stress

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Stress ist eine so wirksame Überlebensstrategie, dass sie im Tierreich – wie beispielsweise das Skelett oder Augen – weit verbreitet ist. (Fast) alle Wirbeltiere in natürlicher Umgebung empfinden Stress. Er hilft ihnen beim Überleben, indem es einerseits eine schnelle Flucht oder maximale Konzentration beim Angriff sicherstellt.  Stress stärkt soziale Kontakte, etwa wenn Individuen sich zu Herden und Schwärmen zusammenschließen, um Gefahren zu entgehen.

Gleichzeitig ist Stress einer der häufigsten Krankheitsauslöser in unserer Gesellschaft – zu den stressbedingten Erkrankungen gehören Probleme mit dem Herz- Kreislaufsystem, Blutdruck, Angsterkrankungen, Depressionen und Schmerz. Zwischen der Belastung am Arbeitsplatz und Rückenschmerzen lassen sich oft klarere Zusammenhänge herstellen, als zwischen Rückenschmerzen und einem MRT. (hier im Blog: Rückenschmerzen / Studien) In sozialen Kontexten äußert sich Stress etwa durch Aggressionen im Straßenverkehr oder langjährige Nachbarschaftsstreits. Er erhöht die Gefahr, an Suchterkrankungen wie Alkoholismus zu erkranken.

Stress ist allgegenwärtig in unserem Alltag - und er ist eine bedeutende Gesundheitsgefahr. Krankheiten wie Depressionen, Reizmagen, Kiefergelenksentzündungen, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen werden durch Stress negativ beeinflusst.

Das wirft eine wichtige Frage auf: Warum wirkt sich Stress bei Menschen so negativ aus?

Menschen haben ein gutes Erinnerungsvermögen

Wir sind in der Lage zu denken. Damit können wir uns sowohl vergangene als auch zukünftige Probleme vergegenwärtigen – im wahrsten Sinne des Wortes. Allein der Gedanke an stark stressbelastete Situationen reicht manchmal aus, uns in Erregungszustände zu versetzen: unsere Hände werden bereits vor der Prüfung feucht, oder ballen sich bei der Erinnerung an ein stressbeladenes Ereignis zusammen. Allein der Gedanke reicht also aus, um unsere Körper in die Situation zu versetzen – und reagieren zu lassen, mit der Muskelanspannung und Erregung einer fiktiven Situation, zu deren Lösung wir im Augenblick aber nichts beitragen können.

Konkret bedeutet das: während wir im Auto sitzen – was eigentlich ein entspannter Zustand sein sollte – gehen uns Gedanken über eine unangenehme Situation im Büro durch den Kopf. Gleichzeitig denken wir daran, wie stressig es sein wird, einen Parkplatz vor der Kita zu bekommen, um das Kind rechtzeitig abzuholen, und wir machen uns Gedanken darüber, was wir für das Abendessen einkaufen wollen.

Unser Körper reagiert auf all diese Anforderungen gleichzeitig – er erhält Signale, auszuweichen oder sich zu verstecken, zu rennen und schwere Lasten zu tragen, und reagiert mit entsprechenden Anspannungen der Muskulatur und beschleunigter Atmung. Nichts davon hat mit der eigentlichen Situation – sitzen – zu tun.


Körperlich machen sich diese widerstreitenden Signale auf längere Sicht als Schwere, Verspannung und eingeschränkte Atmung bemerkbar. Ständige Gedankenspiralen, die Unfähigkeit, „abzuschalten“, sind, wenn sie sich verfestigen, Symptome einer Depression.

Egal welchen Ansatz sie wählen - Yoga, Feldenkrais, Meditation, Entspannungstechniken - die biologischen Wirkmechanismen weisen überraschende Gemeinsamkeiten auf.

Was hilft: Wahrnehmung, in erster Linie Körperwahrnehmung, wie sie in Feldenkrais Stunden erlernt wird. Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick (Meditation)

Auch wahrnehmungsfördernde Hobbies und Umgebungen – wie Wandern, Photographie, Vogelbeobachtung und Jagd, oder Sportarten wie Zen-Bogenschießen helfen bei der Konzentration auf den Augenblick.

Figth, Flight und Freeze – die Stressreaktionen.

Im Wesentlichen gibt es drei Reaktionen, die uns bei Gefahr zur Verfügung stehen: Flucht, Angriff, oder Totstellen. Im Fall von Flucht und Angriff wird der gesamte Zyklus durchlaufen. Atmung und Puls beschleunigen sich, um unsere Muskulatur und unser Gehirn mit maximaler Energie zu versorgen. Die Muskelspannung steigt, die Wahrnehmung wird geschärft, unsere Kiefer spannen sich an. Wir sind optimal vorbereitet für Flucht oder Angriff, und sobald wir diese Handlungen tatsächlich ausführen, brauchen wir die bereitgestellten Energien auf. Der Körper kehrt wieder zu einem Ausgangspunkt zurück.

Im negativen Fall einer nicht abgebauten Stressreaktion machen sich diese Phänomene als steigender Blutdruck, Verspannung, Zähneknirschen und Geräuschempfindlichkeit bemerkbar.

Die dritte Stressreaktion ist die sogenannte Freeze-Reaktion – das Totstellen. Passivität ist im Überlebenskampf sozusagen das Mittel der letzten Wahl, wenn die anderen zwei Reaktionen (die größere Sicherheit versprechen würden) unmöglich sind.

Totstellen (Impala und Leopard)

Unglücklicherweise ist in unserem Alltag „totstellen“ häufig die einzige Stressreaktion, die uns zur Verfügung steht.

Eine massive Konfrontation mit einem Chef, Kollegen oder dem eigenen Kind oder Partner ist an sich nicht gefährlich, stellt jedoch hohen sozialen Stress dar. Dasselbe gilt für Überlastung, eine tragisches Ereignis oder die Diagnose einer schwerwiegenden Krankheit. Ein Angriff – eine zumindest verbale Verteidigung oder Flucht sind in einer solchen Lage oft nicht möglich. Ihnen bleibt nichts anders übrig, als die Situation hinzunehmen. Sie zwingen sich zur Ruhe.

Wenn die bereitgestellten Energien jedoch nicht aufgebraucht bzw. immer wieder erregt werden, bleiben sie über längere Zeit in ihrem Körper gespeichert.

Wichtig zu wissen: der wesentliche Faktor bei der Freeze-Reaktion ist die Passivität und der Verlust von Handlungsfähigkeit.  Die klassischen Entspannungsübungen helfen in einer derartigen Situation nur bedingt – sie entsprechen der ursprünglichen Stresssituation und sind damit nicht geeignet, sie aufzulösen.

Was hilft: kommen sie in Bewegung und schaffen Sie neue Möglichkeiten zum aktiven Handeln – aber zwingen Sie sich nicht dazu. Sorgen Sie für eine sichere, stressfreie Umgebung und suchen Sie Möglichkeiten, Variationen zu finden und ihre Aktivität zu genießen.  

Die Arbeit mit widerstreitenden Spannungen, Passivität und Handlungsvariationen sind wichtige Elemente der Feldenkrais-Methode. Grundsätzlich ist jedoch jede Aktivität geeignet, die Ihnen persönlich liegt – von Gartenbau über Tischtennis zum Häkeln. Grundsätzlich gilt Voltaires Vorsatz:

„Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“ – Voltaire

Stressreaktionen werden erlernt

Es gibt Menschen, die Gefahren suchen. Fallschirmspringer, Bungeejumper, Extremkletterer und S-Bahn-Surfer begeben sich bewusst in kontrollierte Gefahrensituation, und sie empfinden dabei teils ekstatische Zustände.

Auch kleine Kinder gehören zu dieser Gruppe: kaum können sie stehen, fangen sie an, Leitern heraufzuklettern. Sie trauen sich von der großen Rutsche zu rutschen, und klettern um die Wette.

Ein Nebeneffekt: sie trainieren damit ihre Stressreaktionen.

Obwohl Stressreaktionen unwillkürlich ausgelöst werden, sind sie anders als Reflexe nicht statisch. Sie werden erlernt, bereits vor der Geburt, und werden durch unsere Lebensumstände geprägt – wir können sie beeinflussen.

Eine reizarme Umgebung (wie eine Wüste), in der die Gefahren eher klein und unauffällig sind (wie Skorpione) – oder ein herkömmlicher Arbeitsplatz wird andere Reaktionen erfordern als eine Flucht vor einem angreifenden Bären. Je größer die Stressreaktion und die darauffolgende Aktivität, desto größer ist die Entspannung danach – und umso friedlicher wird ein stress- armer Moment erlebt. Ein Leben ohne Stress ist nicht gesund. Es kann dazu führen, dass das Stresssystem – ähnlich wie bei einer Allergie – übersensibel wird und auf Kleinigkeiten reagiert. Dann werden selbst die Schritte des Nachbarn in der Wohnung über uns oder Kindergeschrei zu massiven Stressauslösern, die durch sozialen Stress weiter verstärkt werden.

Wer sich gerade aus einem brennenden Haus gerettet hat, wird sich über Flecken auf seiner Kleidung keine Gedanken machen. Je größer die tatsächliche Gefahr, desto angemessener ist der Stress – und angemessener Stress ist in der Lage, und über uns selbst herauswachsen zu lassen – in jeder Hinsicht. Diesen Effekt bezeichnet der englische Ausdruck „Blitz Spirit“, ein „Stoizismus und Entschlossenheit in einer schwierigen oder gefährlichen Situation“.

Ob eine potentiell gefährliche Situation als traumatisierend oder ekstatisch erlebt wird, hängt im Wesentlichen davon ab, ob Sie das Gefühl haben, aktiv zu bleiben und die Situation kontrollieren zu können – durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen (wie Sicherungsseile oder einen Fallschirm) und eine bewusst ausgesuchte Erfahrung.

Herausforderungen sind sehr individuell – die Spanne reicht von einer Bergbesteigung auf einer schwierigen Route, dem Mut, vor 200 – oder auch 7 – Kollegen eine Rede zu halten, oder der Überwindung, die es Sie kostet, einen Hund zu streicheln. Wichtig ist, dass Sie sich die Situation selbst aussuchen, für ausreichende Sicherheit sorgen, und die Situation erfolgreich und ohne massive Überforderung erfolgreich meistern. 

Was hilft: Trauen Sie sich – in Ihrem individuellen Rahmen – etwas zu. Bringen Sie sich in (kontrollierte) Gefahr!

Die Stresshormone

Neben den bekannteren Stresshormonen Adrenalin und Cortisol wird ein weiterer Stoff freigesetzt: Oxytocin. Es ist ein Neurotransmitter, der unsere sozialen Bindungen beeinflusst – am bekanntesten ist dieses Hormon in Zusammenhang mit dem Stillen Neugeborener kurz nach der Geburt. Das zu diesem Zeitpunkt massiv freigesetzte Hormon stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind. In Stresssituationen veranlasst es uns, soziale Kontakte zu stärken. Gute soziale Bindungen gelten als wichtige Faktoren der Widerstandsfähigkeit gegen Stress. Was hilft: Freundschaft, Famile und Glück!

Weiterlesen: Robert M. Sapolsky - Warum Zebras keine Migräne kriegen





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